Statut des Internationalen Gerichtshofs

Artikel 1

Der durch die Charta der Vereinten Nationen als Hauptrechtssprechungsorgan der Vereinten Nationen eingesetzte Internationale Gerichtshof wird nach Maßgabe dieses Statuts errichtet und nimmt seine Aufgaben nach Maßgabe seiner Bestimmungen wahr.

Kapitel I: Organization des Gerichtshofs (Artikel 2 – 33)

Artikel 2

Der Gerichtshof besteht aus unabhängigen Richtern, die ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit unter Personen von hohem sittlichen Ansehen ausgewählt werden, welche die in ihrem Staat für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder Völkerrechtsgelehrte von anerkanntem Ruf sind.

Artikel 3

1. Der Gerichtshof besteht aus fünfzehn Mitgliedern, von denen nicht mehr als eines Angehöriger desselben Staates sein darf.

2. Wer im Hinblick auf die Mitgliedschaft beim Gerichtshof als Angehöriger mehr als eines Staates angesehen werden kann, gilt als Angehöriger des Staates, in dem er gewöhnlich seine bürgerlichen und politischen Rechte ausübt.

Artikel 4

1. Die Mitglieder des Gerichtshofs werden von der Generalversammlung und vom Sicherheitsrat auf Grund einer Liste von Personen, die von den nationalen Gruppen des Ständigen Schiedshofs benannt worden sind, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen gewählt.

2. Im Falle der im Ständigen Schiedshof nicht vertretenen Mitglieder der Vereinten Nationen werden die Bewerber von nationalen Gruppen benannt, die zu diesem Zweck von ihren Regierungen unter den gleichen Bedingungen bestimmt werden, wie sie Artikel 44 des Haager Abkommens von 1907 zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle für die Mitglieder des Ständigen Schiedshofs vorschreibt.

3. Die Bedingungen, unter denen ein Staat, der Vertragspartei dieses Statuts, aber nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, an der Wahl der Mitglieder des Gerichtshofs teilnehmen kann, werden in Ermangelung einer besonderen Übereinkunft auf Empfehlung des Sicherheitsrats von der Generalversammlung festgelegt.

Artikel 5

1. Mindestens drei Monate vor dem Tag der Wahl fordert der Generalsekretär der Vereinten Nationen die Mitglieder des Ständigen Schiedshofs, die den Vertragsstaaten dieses Statuts angehören, sowie die Mitglieder der nach Artikel 4 Absatz 2 bestimmten nationalen Gruppen auf, innerhalb einer bestimmten Frist nach nationalen Gruppen Personen zu benennen, die in der Lage sind, das Amt eines Mitglieds des Gerichtshofs wahrzunehmen.

2. Eine Gruppe darf nicht mehr als vier Personen benennen, davon höchstens zwei ihrer eigenen Staatsangehörigkeit. Die Zahl der von einer Gruppe benannten Bewerber darf nicht größer sein als die doppelte Zahl der zu besetzenden Sitze.

Artikel 6

Jeder nationalen Gruppe wird empfohlen, vor diesen Benennungen ihren obersten Gerichtshof, ihre rechtswissenschaftlichen Fakultäten und Rechtsschulen sowie ihre dem Rechtsstudium gewidmeten nationalen Akademien und nationalen Abteilungen internationaler Akademien zu konsultieren.

Artikel 7

1. Der Generalsekretär stellt eine alphabetische Liste aller so benannten Personen auf. Sofern nicht in Artikel 12 Absatz 2 etwas anderes bestimmt ist, sind nur diese Personen wählbar.

2. Der Generalsekretär legt diese Liste der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat vor.

Artikel 8

Die Generalversammlung und der Sicherheitsrat nehmen unabhängig voneinander die Wahl der Mitglieder des Gerichtshofs vor.

Artikel 9

Bei jeder Wahl haben die Wähler darauf zu achten, daß jede einzelne der zu wählenden Personen die erforderliche Befähigung besitzt und daß diese Personen in ihrer Gesamtheit eine Vertretung der großen Kulturkreise und der hauptsächlichen Rechtssysteme der Welt gewährleisten.

Artikel 10

1. Diejenigen Bewerber, die in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten, sind gewählt.

2. Abstimmungen im Sicherheitsrat bei der Wahl der Richter und bei der Benennung der Mitglieder der in Artikel 12 vorgesehenen Kommission erfolgen ohne Unterscheidung zwischen ständigen und nichtständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats.

3. Erhält mehr als ein Angehöriger desselben Staates sowohl in der Generalversammlung als auch im Sicherheitsrat die absolute Mehrheit der Stimmen, so gilt nur der älteste von ihnen als gewählt.

Artikel 11

Bleiben nach dem ersten Wahlgang noch Sitze frei, so findet in derselben Weise ein zweiter und erforderlichenfalls ein dritter Wahlgang statt.

Artikel 12

1. Bleiben nach dem dritten Wahlgang noch Sitze frei, so kann jederzeit auf Antrag der Generalversammlung oder des Sicherheitsrats eine aus sechs Mitgliedern bestehende Vermittlungskommission gebildet werden, wobei drei Mitglieder von der Generalversammlung und drei vom Sicherheitsrat ernannt werden; die Kommission hat mit absoluter Stimmenmehrheit für jeden noch freien Sitz einen Namen auszuwählen, welcher der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat getrennt zur Annahme vorgelegt wird.

2. Die Vermittlungskommission kann auf ihre Liste den Namen jeder Person setzen, auf welche sie sich einstimmig geeinigt hat und welche die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, auch wenn sie nicht in der in Artikel 7 genannten Vorschlagsliste aufgeführt war.

3. Stellt die Vermittlungskommission fest, daß es ihr nicht gelingt, die Wahl durchzuführen, so besetzen die bereits gewählten Mitglieder des Gerichtshofs innerhalb einer vom Sicherheitsrat festzusetzenden Frist die freien Sitze durch eine Auswahl unter denjenigen Bewerbern, die in der Generalversammlung oder im Sicherheitsrat Stimmen erhalten haben.

4. Bei Stimmengleichheit unter den Richtern gibt die Stimme des ältesten Richters den Ausschlag.

Artikel 13

1. Die Mitglieder des Gerichtshofs werden für die Dauer von neun Jahren gewählt und sind wiederwählbar; jedoch endet für fünf bei der ersten Wahl gewählte Richter die Amtszeit nach drei Jahren und für weitere fünf nach sechs Jahren.

2. Die Richter, deren Amtszeit nach Ablauf der genannten Anfangszeit von drei und sechs Jahren endet, werden vom Generalsekretär unmittelbar nach Abschluß der ersten Wahl durch das Los bestimmt.

3. Die Mitglieder des Gerichtshofs bleiben bis zu ihrer Ablösung im Amt. Danach erledigen sie alle Fälle, mit denen sie bereits befaßt sind.

4. Bei Rücktritt eines Mitglieds des Gerichtshofs ist das Rücktrittsschreiben an den Präsidenten des Gerichtshofs zur Weiterleitung an den Generalsekretär zu richten. Mit der Benachrichtigung des letzteren wird der Sitz frei.

Artikel 14

Freigewordene Sitze werden nach dem für die erste Wahl vorgesehenen Verfahren besetzt, vorbehaltlich folgender Bestimmung: Der Generalsekretär läßt binnen einem Monat nach Freiwerden des Sitzes die in Artikel 5 vorgesehenen Aufforderungen ergehen, und der Zeitpunkt der Wahl wird vom Sicherheitsrat festgesetzt.

Artikel 15

Ein Mitglied des Gerichtshofs, das an Stelle eines Mitglieds gewählt ist, dessen Amtszeit noch nicht abgelaufen ist, beendet die Amtszeit seines Vorgängers.

Artikel 16

1. Ein Mitglied des Gerichtshofs darf weder ein politisches Amt noch ein Amt in der Verwaltung ausüben noch sich einer anderen Beschäftigung beruflicher Art widmen.

2. Im Zweifelsfall entscheidet der Gerichtshof.

Artikel 17

1. Ein Mitglied des Gerichtshofs darf nicht als Bevollmächtigter, Beistand oder Anwalt in irgendeiner Sache tätig werden.

2. Ein Mitglied darf nicht an der Erledigung einer Sache teilnehmen, in der es vorher als Bevollmächtigter, Beistand oder Anwalt einer der Parteien, als Mitglied eines nationalen oder internationalen Gerichts, einer Untersuchungskommission oder in anderer Eigenschaft berufen war.

3. Im Zweifelsfall entscheidet der Gerichtshof.

Artikel 18

1. Ein Mitglied des Gerichtshofs kann seines Amtes nur dann enthoben werden, wenn es nach einstimmiger Auffassung der übrigen Mitglieder nicht mehr die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt.

2. Dies wird dem Generalsekretär förmlich durch den Kanzler notifiziert.

3. Mit dieser Notifikation wird der Sitz frei.

Artikel 19

Die Mitglieder des Gerichtshofs genießen bei der Wahrnehmung ihres Amtes diplomatische Vorrechte und Immunitäten.

Artikel 20

Jedes Mitglied des Gerichtshofs hat vor Antritt seines Amtes in öffentlicher Sitzung die feierliche Erklärung abzugeben, daß es seine Befugnisse unparteiisch und gewissenhaft ausüben wird.

Artikel 21

1. Der Gerichtshof wählt seinen Präsidenten und seinen Vizepräsidenten für die Dauer von drei Jahren; Wiederwahl ist zulässig.

2. Der Gerichtshof ernennt seinen Kanzler und kann für die Ernennung der erforderlichen sonstigen Bediensteten sorgen.

Artikel 22

1. Sitz des Gerichtshofs ist Den Haag. Der Gerichtshof kann jedoch anderswo tagen und seine Tätigkeit ausüben, wenn er es für wünschenswert hält.

2. Der Präsident und der Kanzler wohnen am Sitz des Gerichtshofs.

Artikel 23

1. Der Gerichtshof tagt ständig außer während der Gerichtsferien, deren Zeitpunkt und Dauer er festsetzt.

2. Die Mitglieder des Gerichtshofs haben Anspruch auf regelmäßigen Urlaub, dessen Zeitpunkt und Dauer der Gerichtshof unter Berücksichtigung der Entfernung zwischen Den Haag und dem Heimatort der einzelnen Richter festsetzt.

3. Die Mitglieder des Gerichtshofs sind verpflichtet, dem Gerichtshof jederzeit zur Verfügung zu stehen, sofern sie sich nicht im Urlaub befinden oder durch Krankheit oder sonstige dem Präsidenten ordnungsgemäß darzulegende schwerwiegende Gründe verhindert sind.

Artikel 24

1. Glaubt ein Mitglied des Gerichtshofs, bei der Entscheidung einer bestimmten Sache aus einem besonderen Grund nicht mitwirken zu sollen, so macht es davon dem Präsidenten Mitteilung.

2. Hält der Präsident die Teilnahme eines Mitglieds des Gerichtshofs an der Verhandlung einer bestimmten Sache aus einem besonderen Grund für unangebracht, so setzt er das Mitglied hiervon in Kenntnis.

3. Besteht in einem solchen Fall Unstimmigkeit zwischen dem Mitglied des Gerichtshofs und dem Präsidenten, so entscheidet der Gerichtshof.

Artikel 25

1. Sofern nicht in diesem Statut ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist, tagt der Gerichtshof in Vollsitzungen.

2. Die Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann vorsehen, daß je nach den Umständen abwechselnd ein oder mehrere Richter von der Teilnahme an der Verhandlung befreit werden können, jedoch mit der Maßgabe, daß die Zahl der Richter, die zur Bildung des Gerichtshofs zur Verfügung stehen, nicht unter elf sinkt.

3. Der Gerichtshof ist beschlußfähig, wenn neun Richter anwesend sind.

Artikel 26

1. Der Gerichtshof kann jederzeit eine oder mehrere Kammern bilden, die je nach Beschluß des Gerichtshofs aus drei oder mehr Richtern bestehen, um bestimmte Arten von Rechtssachen zu entscheiden, beispielsweise Fälle aus dem Bereich des Arbeitsrechts, des Durchfuhr- und des Verkehrsrechts.

2. Der Gerichtshof kann jederzeit eine Kammer zur Entscheidung einer bestimmten Sache bilden. Die Anzahl der Richter dieser Kammer wird vom Gerichtshof mit Zustimmung der Parteien festgesetzt.

3. Die in diesem Artikel vorgesehenen Kammern verhandeln und entscheiden, wenn die Parteien dies beantragen.

Artikel 27

Jedes Urteil, das von einer der in den Artikeln 26 und 29 vorgesehenen Kammern erlassen wird, gilt als Urteil des Gerichtshofs.

Artikel 28

Die in den Artikeln 26 und 29 vorgesehenen Kammern können mit Zustimmung der Parteien anderswo als in Den Haag tagen und ihre Tätigkeit ausüben.

Artikel 29

Zur raschen Erledigung der Fälle bildet der Gerichtshof jährlich eine Kammer aus fünf Richtern, die auf Antrag der Parteien im abgekürzten Verfahren verhandeln und entscheiden können. Zusätzlich werden zwei Richter ausgewählt, um diejenigen Richter zu ersetzen, die an den Sitzungen nicht teilnehmen können.

Artikel 30

1. Der Gerichtshof erläßt Vorschriften für die Wahrnehmung seiner Aufgaben. Er legt insbesondere seine Verfahrensordnung fest.

2. Die Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann Beisitzer vorsehen, die ohne Stimmrecht an den Sitzungen des Gerichtshofs oder seiner Kammern teilnehmen.

Artikel 31

1. Richter, die Staatsangehörige der Parteien sind, behalten das Recht, an den Sitzungen über die vor dem Gerichtshof anhängige Sache teilzunehmen.

2. Gehört dem Gerichtshof ein Richter an, der Staatsangehöriger einer der Parteien ist, so kann jede andere Partei eine Person ihrer Wahl bestimmen, die als Richter an den Sitzungen teilnimmt. Sie ist vorzugsweise unter den Personen auszuwählen, die nach den Artikeln 4 und 5 als Bewerber benannt worden sind.

3. Gehört dem Gerichtshof kein Richter an, der Staatsangehöriger einer der Parteien ist, so kann jede der Parteien auf die im Absatz 2 vorgesehene Weise einen Richter bestimmen.

4. Dieser Artikel findet auf die in den Artikeln 26 und 29 vorgesehenen Fälle Anwendung. In diesen Fällen ersucht der Präsident ein oder erforderlichenfalls zwei Mitglieder des Gerichtshofs, welche die Kammer bilden, ihren Platz an die Mitglieder des Gerichtshofs, welche Staatsangehörige der beteiligten Parteien sind, oder, in Ermangelung oder bei Verhinderung solcher Mitglieder, an die von den Parteien besonders bestimmten Richter abzutreten.

5. Bilden mehrere Parteien eine Streitgenossenschaft, so gelten sie für die Zwecke der vorstehenden Bestimmungen als eine Partei. Im Zweifelsfall entscheidet der Gerichtshof.

6. Die nach den Absätzen 2, 3 und 4 bestimmten Richter müssen die Voraussetzungen der Artikel 2, 17 Absatz 2, 20 und 24 erfüllen. Sie wirken völlig gleichberechtigt mit ihren Kollegen an der Entscheidung mit.

Artikel 32

1. Die Mitglieder des Gerichtshofs erhalten ein Jahresgehalt.

2. Der Präsident erhält eine besondere Jahreszulage.

3. Der Vizepräsident erhält eine Sonderzulage für jeden Tag, an dem er das Amt des Präsidenten wahrnimmt.

4. Die nach Artikel 31 bestimmten Richter mit Ausnahme der Mitglieder des Gerichtshofs erhalten eine Entschädigung für jeden Tag, an dem sie ihre Tätigkeit ausüben.

5. Die Gehälter, Zulagen und Entschädigungen werden von der Generalversammlung festgesetzt. Sie dürfen während der Amtszeit nicht herabgesetzt werden.

6. Das Gehalt des Kanzlers wird auf Vorschlag des Gerichtshofs von der Generalversammlung festgesetzt.

7. Eine von der Generalversammlung beschlossene Regelung setzt die Voraussetzungen fest, unter denen den Mitgliedern des Gerichtshofs und dem Kanzler ein Ruhegehalt gewährt wird, sowie die Voraussetzungen, unter denen den Mitgliedern des Gerichtshofs und dem Kanzler Reisekosten erstattet werden.

8. Die Gehälter, Zulagen und Entschädigungen sind von jeder Besteuerung befreit.

Artikel 33

Die Kosten des Gerichtshofs werden in der von der Generalversammlung bestimmten Weise von den Vereinten Nationen getragen.

Kapitel II: Zuständigkeit des Gerichtshofs (Artikel 34 – 38)

Artikel 34

1. Nur Staaten sind berechtigt, als Parteien vor dem Gerichtshof aufzutreten.

2. Der Gerichtshof kann nach Maßgabe seiner Verfahrensordnung öffentlich-rechtliche internationale Organisationen um Auskünfte betreffend bei ihm anhängige Rechtssachen ersuchen; er nimmt auch derartige Auskünfte entgegen, wenn diese Organisationen sie ihm von sich aus erteilen.

3. Steht die Auslegung der Gründungsurkunde einer öffentlich-rechtlichen internationalen Organisation oder die Auslegung einer auf Grund dieser Urkunde angenommenen internationalen Übereinkunft in einer vor dem Gerichtshof anhängigen Rechtssache in Frage, so notifiziert der Kanzler dies der betreffenden Organisation und übermittelt ihr Abschriften des gesamten schriftlichen Verfahrens.

Artikel 35

1. Der Zugang zum Gerichtshof steht den Staaten offen, die Vertragsparteien dieses Statuts sind.

2. Die Bedingungen, unter denen der Zugang zum Gerichtshof anderen Staaten offensteht, werden vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen geltender Verträge vom Sicherheitsrat festgelegt; daraus darf für die Parteien keine Ungleichheit vor dem Gerichtshof entstehen.

3. Ist ein Staat, der nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, Streitpartei, so setzt der Gerichtshof den Beitrag dieser Partei zu den Kosten des Gerichtshofs fest. Dies gilt nicht, wenn sich der Staat an den Kosten des Gerichtshofs beteiligt.

Artikel 36

1. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs erstreckt sich auf alle ihm von den Parteien unterbreiteten Rechtssachen sowie auf alle in der Charta der Vereinten Nationen oder in geltenden Verträgen und Übereinkommen besonders vorgesehenen Angelegenheiten.

2. Die Vertragsstaaten dieses Statuts können jederzeit erklären, daß sie die Zuständigkeit des Gerichtshofs von Rechts wegen und ohne besondere Übereinkunft gegenüber jedem anderen Staat, der dieselbe Verpflichtung übernimmt, für alle Rechtsstreitigkeiten über folgende Gegenstände als obligatorisch anerkennen:

  1. die Auslegung eines Vertrags;
  2. jede Frage des Völkerrechts;
  3. das Bestehen jeder Tatsache, die, wäre sie bewiesen, die Verletzung einer internationalen Verpflichtung darstellt;
  4. Art oder Umfang der wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung geschuldeten Wiedergutmachung.

3. Die oben bezeichnete Erklärung kann vorbehaltlos oder vorbehaltlich einer entsprechenden Verpflichtung mehrerer oder einzelner Staaten oder für einen bestimmten Zeitabschnitt abgegeben werden.

4. Die Erklärungen sind beim Generalsekretär der Vereinten Nationen zu hinterlegen; dieser übermittelt den Vertragsparteien dieses Statuts und dem Kanzler des Gerichtshofs eine Abschrift.

5. Nach Artikel 36 des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofs abgegebene Erklärungen, deren Geltungsdauer noch nicht abgelaufen ist, gelten nach Maßgabe ihrer Bedingungen für ihre restliche Geltungsdauer im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien dieses Statuts als Annahme der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs.

6. Wird die Zuständigkeit des Gerichtshofs bestritten, so entscheidet dieser.

Artikel 37

Ist in einem geltenden Vertrag oder Übereinkommen die Verweisung einer Sache an ein vom Völkerbund einzusetzendes Gericht oder an den Ständigen Internationalen Gerichtshof vorgesehen, so wird die Sache im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien dieses Statuts an den Internationalen Gerichtshof verwiesen.

Artikel 38

1. Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht zu entscheiden, wendet an

  1. internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind;
  2. das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung;
  3. die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze;
  4. vorbehaltlich des Artikels 59 richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen.

2. Diese Bestimmung läßt die Befugnis des Gerichtshofs unberührt, mit Zustimmung der Parteien ex aequo et bono zu entscheiden.

Kapitel III: Verfahren (Artikel 39 – 64)

Artikel 39

1. Die Amtssprachen des Gerichtshofs sind Französisch und Englisch. Kommen die Parteien überein, das gesamte Verfahren in französischer Sprache zu führen, so wird das Urteil in dieser Sprache gefällt. Kommen die Parteien überein, das gesamte Verfahren in englischer Sprache zu führen, so wird das Urteil in dieser Sprache gefällt.

2. In Ermangelung einer Vereinbarung über die anzuwendende Sprache kann sich jede Partei bei ihren Vorträgen nach Belieben einer der beiden Sprachen bedienen; das Urteil des Gerichtshofs ergeht alsdann in französischer und englischer Sprache. In diesem Fall hat der Gerichtshof gleichzeitig zu bestimmen, welcher der beiden Wortlaute maßgebend ist.

3. Auf Antrag der Partei gestattet ihr der Gerichtshof die Benutzung einer anderen Sprache als der französischen oder englischen.

Artikel 40

1. Die Rechtssachen werden beim Gerichtshof je nach Art des Falles durch Notifizierung des Schiedsvertrags oder durch eine Klageschrift anhängig gemacht, die an den Kanzler zu richten sind. In beiden Fällen sind der Streitgegenstand und die Parteien anzugeben.

2. Der Kanzler übermittelt die Klageschrift umgehend allen Beteiligten.

3. Er unterrichtet auch die Mitglieder der Vereinten Nationen über den Generalsekretär sowie alle sonstigen zum Gerichtshof zugelassenen Staaten.

Artikel 41

1. Der Gerichtshof ist befugt, wenn er es nach den Umständen für erforderlich hält, diejenigen vorsorglichen Maßnahmen zu bezeichnen, die zur Sicherung der Rechte der Parteien getroffen werden müssen.

2. Vorbehaltlich der endgültigen Entscheidung werden diese Maßnahmen den Parteien und dem Sicherheitsrat umgehend angezeigt.

Artikel 42

1. Die Parteien werden durch Bevollmächtigte vertreten.

2. Sie können sich vor dem Gerichtshof der Hilfe von Beiständen oder Anwälten bedienen.

3. Die Bevollmächtigten, Beistände und Anwälte der Parteien vor dem Gerichtshof genießen die zur unabhängigen Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Immunitäten.

Artikel 43

1. Das Verfahren gliedert sich in ein schriftliches und ein mündliches Verfahren.

2. Das schriftliche Verfahren umfaßt die Übermittlung der Schriftsätze, Gegenschriftsätze und gegebenenfalls der Repliken sowie aller zur Unterstützung vorgelegten Schriftstücke und Urkunden an die Richter und die Parteien.

3. Die Übermittlung erfolgt durch den Kanzler in der Reihenfolge und innerhalb der Fristen, die der Gerichtshof bestimmt.

4. Jedes von einer Partei vorgelegte Schriftstück ist der anderen Partei in beglaubigter Abschrift zu übermitteln.

5. Das mündliche Verfahren besteht in der Anhörung der Zeugen, Sachverständigen, Bevollmächtigten, Beistände und Anwälte durch den Gerichtshof.

Artikel 44

1. Für alle Zustellungen an andere Personen als die Bevollmächtigten, Beistände und Anwälte wendet sich der Gerichtshof unmittelbar an die Regierung des Staates, in dessen Hoheitsgebiet die Zustellung erfolgen soll.

2. Das gleiche gilt, wenn an Ort und Stelle Beweis erhoben werden soll.

Artikel 45

Die Verhandlungen werden vom Präsidenten oder, wenn dieser verhindert ist, vom Vizepräsidenten geleitet; sind beide verhindert, so übernimmt der dienstälteste anwesende Richter den Vorsitz.

Artikel 46

Die mündliche Verhandlung ist öffentlich, sofern nicht der Gerichtshof etwas anderes beschließt oder die Parteien den Ausschluß der Öffentlichkeit beantragen.

Artikel 47

1. Über jede mündliche Verhandlung wird ein Protokoll aufgenommen, das vom Kanzler und vom Präsidenten unterschrieben wird.

2. Dieses Protokoll allein ist maßgebend.

Artikel 48

Der Gerichtshof erläßt Verfügungen für die Führung des Verfahrens, bestimmt die Form und die Fristen für die Einbringung der Schlußanträge durch jede Partei und trifft alle auf die Beweisaufnahme bezüglichen Maßnahmen.

Artikel 49

Der Gerichtshof kann schon vor Beginn der Verhandlung von den Bevollmächtigten die Vorlage aller Urkunden und die Erteilung aller Auskünfte verlangen. Im Fall einer Weigerung stellt der Gerichtshof diese ausdrücklich fest.

Artikel 50

Der Gerichtshof kann jederzeit Personen, Personengemeinschaften, Dienststellen, Kommissionen oder sonstige Einrichtungen seiner Wahl mit der Vornahme einer Untersuchung oder der Abgabe eines Gutachtens beauftragen.

Artikel 51

Während der Verhandlung werden den Zeugen und Sachverständigen alle zweckdienlichen Fragen unter den Bedingungen vorgelegt, die der Gerichtshof in der in Artikel 30 vorgesehenen Verfahrensordnung festsetzt.

Artikel 52

Nachdem der Gerichtshof innerhalb der hierfür festgesetzten Fristen die Beweismittel und Zeugenaussagen erhalten hat, kann er alle weiteren mündlichen oder schriftlichen Beweismittel zurückweisen, die ihm eine Partei ohne Zustimmung der anderen vorzulegen wünscht.

Artikel 53

1. Erscheint eine der Parteien nicht vor dem Gerichtshof oder verzichtet sie darauf, sich zur Sache zu äußern, so kann die andere Partei den Gerichtshof ersuchen, im Sinne ihrer Anträge zu entscheiden.

2. Bevor der Gerichtshof diesem Ersuchen stattgibt, muß er sich nicht nur vergewissern, daß er nach den Artikeln 36 und 37 zuständig ist, sondern auch, daß die Anträge tatsächlich und rechtlich begründet sind.

Artikel 54

1. Sobald die Bevollmächtigten, Beistände und Anwälte unter Aufsicht des Gerichtshofs ihr Vorbringen abgeschlossen haben, erklärt der Präsident die Verhandlung für geschlossen.

2. Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück.

3. Die Beratungen des Gerichtshofs sind und bleiben geheim.

Artikel 55

1. Die Entscheidungen des Gerichtshofs werden mit Stimmenmehrheit der anwesenden Richter gefaßt.

2. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten oder des ihn vertretenden Richters den Ausschlag.

Artikel 56

1. Das Urteil ist mit Gründen zu versehen.

2. Es enthält die Namen der Richter, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben.

Artikel 57

Bringt das Urteil im ganzen oder in einzelnen Teilen nicht die übereinstimmende Ansicht der Richter zum Ausdruck, so ist jeder Richter berechtigt, ihm eine Darlegung seiner persönlichen Ansicht beizufügen.

Artikel 58

Das Urteil wird vom Präsidenten und vom Kanzler unterschrieben. Nach ordnungsgemäßer Benachrichtigung der Bevollmächtigten wird es in öffentlicher Sitzung verlesen.

Artikel 59

Die Entscheidung des Gerichtshofs ist nur für die Streitparteien und nur in bezug auf die Sache bindend, in der entschieden wurde.

Artikel 60

Das Urteil ist endgültig und unterliegt keinem Rechtsmittel. Bestehen Meinungsverschiedenheiten über Sinn oder Tragweite des Urteils, so obliegt es dem Gerichtshof, es auf Antrag einer Partei auszulegen.

Artikel 61

1. Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur beantragt werden, wenn eine Tatsache von entscheidender Bedeutung bekannt wird, die vor Verkündung des Urteils dem Gerichtshof und auch der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt war, sofern diese Unkenntnis nicht schuldhaft war.

2. Das Wiederaufnahmeverfahren wird durch einen Beschluß des Gerichtshofs eröffnet, der das Vorliegen der neuen Tatsache ausdrücklich feststellt, ihr die für die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens erforderlichen Merkmale zuerkennt und deshalb den Antrag für zulässig erklärt.

3. Der Gerichtshof kann die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens von der vorherigen Vollstreckung des Urteils abhängig machen.

4. Der Wiederaufnahmeantrag ist binnen sechs Monaten nach Bekanntwerden der neuen Tatsache zu stellen.

5. Nach Ablauf von zehn Jahren nach Erlaß des Urteils kann kein Wiederaufnahmeantrag mehr gestellt werden.

Artikel 62

1. Glaubt ein Staat, ein rechtliches Interesse zu haben, das durch die Entscheidung der Sache berührt werden könnte, so kann er beim Gerichtshof einen Antrag auf Beitritt zu dem Verfahren stellen.

2. Der Gerichtshof entscheidet über diesen Antrag.

Artikel 63

1. Handelt es sich um die Auslegung einer Übereinkunft, an der andere Staaten als die Streitparteien beteiligt sind, so unterrichtet der Kanzler unverzüglich diese Staaten.

2. Jeder dieser Staaten ist berechtigt, dem Verfahren beizutreten; macht er von diesem Recht Gebrauch, so ist die in dem Urteil enthaltene Auslegung auch für ihn bindend.

Artikel 64

Sofern der Gerichtshof nicht etwas anderes beschließt, trägt jede Partei ihre eigenen Kosten.

Kapitel IV: Gutachten (Artikel 65 – 68)

Artikel 65

1. Der Gerichtshof kann ein Gutachten zu jeder Rechtsfrage auf Antrag jeder Einrichtung abgeben, die durch die Charta der Vereinten Nationen oder im Einklang mit ihren Bestimmungen zur Einholung eines solchen Gutachtens ermächtigt ist.

2. Die Fragen, zu denen das Gutachten des Gerichtshofs eingeholt wird, werden diesem in einem schriftlichen Antrag vorgelegt, der eine genaue Darstellung der Frage enthält, zu der das Gutachten angefordert wird, und dem alle Urkunden beigefügt werden, die zur Klärung der Frage dienen können.

Artikel 66

1. Der Kanzler setzt alle Staaten, die vor dem Gerichtshof auftreten können, umgehend von dem Antrag auf ein Gutachten in Kenntnis.

2. Der Kanzler setzt ferner jeden Staat, der vor dem Gerichtshof auftreten kann, und jede internationale Organisation, die nach Ansicht des Gerichtshofs oder, wenn dieser nicht tagt, nach Ansicht seines Präsidenten über die Frage Auskunft geben können, durch eine besondere und direkte Mitteilung davon in Kenntnis, daß der Gerichtshof bereit ist, innerhalb einer vom Präsidenten festzusetzenden Frist schriftliche Darstellungen entgegenzunehmen oder während einer zu diesem Zweck anberaumten öffentlichen Sitzung mündliche Darstellungen zu hören.

3. Hat einer der Staaten, die vor dem Gerichtshof auftreten können, die in Absatz 2 vorgesehene besondere Mitteilung nicht erhalten, so kann er den Wunsch äußern, eine schriftliche Darstellung vorzulegen oder gehört zu werden; der Gerichtshof entscheidet darüber.

4. Staaten und Organisationen, die schriftliche oder mündliche Darstellungen abgegeben haben, sind berechtigt, zu den von anderen Staaten oder Organisationen abgegebenen Darstellungen in der Form, in dem Umfang und innerhalb der Fristen Stellung zu nehmen, die der Gerichtshof oder, wenn er nicht tagt, der Präsident im Einzelfall festsetzt. Dazu übermittelt der Kanzler die schriftlichen Darstellungen zu gegebener Zeit den Staaten und Organisationen, die selbst solche Darstellungen vorgelegt haben.

Artikel 67

Der Gerichtshof gibt seine Gutachten in öffentlicher Sitzung ab, nachdem der Generalsekretär und die Vertreter der Mitglieder der Vereinten Nationen sowie der sonstigen Staaten und internationalen Organisationen, die unmittelbar beteiligt sind, benachrichtigt wurden.

Artikel 68

Bei der Ausübung seiner gutachterlichen Tätigkeit läßt sich der Gerichtshof außerdem von den Bestimmungen dieses Statuts leiten, die auf Streitsachen Anwendung finden, soweit er sie für anwendbar hält.

Kapitel V: Änderungen (Artikel 69 – 70)

Artikel 69

Änderungen dieses Statuts werden nach dem gleichen Verfahren durchgeführt, das für Änderungen der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen ist, jedoch vorbehaltlich der Bestimmungen, welche die Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrats für die Beteiligung der Staaten beschließt, die Vertragsparteien dieses Statuts, aber nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind.

Artikel 70

Der Gerichtshof kann Änderungen dieses Statuts, die er für nötig erachtet, durch schriftliche Mitteilung an den Generalsekretär zur Prüfung nach Artikel 69 vorschlagen.

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